Die Welt im Großen und im Kleinen <

Der Mensch wird von den Alten als kleine Welt bezeichnet und gewiss ist die Wahl dieses Namens wohl angebracht, da, ebenso wie der Mensch aus Erde, Wasser, Luft und Feuer zusammengesetzt ist, dieser Körper der Erde ihm ähnlich ist. Wenn der Mensch in sich Knochen hat, Stütze und Befestigung des Fleisches, hat die Welt Steine als Befestigungen der Erde …

Leonardo da Vinci

Paris Ms. A, fol. 55v. Übersetzung: Marianne Schneider

 

 

Bildende Kunst, Wissenschaft und Technik waren im Italien des 15. Jahrhunderts eng miteinander verknüpft. Zugleich waren die einzelnen Disziplinen auch an der Entwicklung eines umfassenderen Weltbildes und der Auslotung der Beziehungen zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos beteiligt.
Bei der Betrachtung der Welt im Großen stützte man sich nach wie vor auf die aus der Antike überkommene geozentrische Tradition, in welcher die Erde den Mittelpunkt des Weltalls bildete und von verschiedenen, hierarchisch gestaffelten Sphären umgeben war, von der Sphäre des Wassers bis zur Sphäre der Fixsterne. Durch das ständig vermehrte Wissen, nicht zuletzt durch die von den Entdeckungsreisen beförderten geographischen Einsichten wurde diese Auffassung jedoch zunehmend in Frage gestellt. Ein immer intensiveres Studium der Natur im Allgemeinen und des menschlichen Körpers im Besonderen erweiterten auch die Kenntnis der Welt im Kleinen. Hiervon erhoffte man sich nicht nur Fortschritte in Wissenschaft, Medizin und künstlerischer Darstellung, sondern zugleich ein tieferes Verständnis für die grundlegenden Prinzipien des Lebens. Die Suche nach solcher Naturerkenntnis war ein zentrales Motiv im Schaffen Leonardo da Vincis. Die rasante Entwicklung des Buchdrucks stellte dem Künstler-Wissenschaftler immer mehr Wissensquellen zur Verfügung, die es ihm erlaubten, seiner Suche nach einem integrativen Weltbild nachzugehen. Zugleich war es ihm möglich, dieses Weltbild auch durch eigene Beiträge mitzugestalten: im Kleinen durch seine analytischen Studien des menschlichen Körpers, im Großen durch Landkarten und Darstellungen astronomischer Erscheinungen.

Nah- und Fernsichten <

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Charles François Delamarche. Geozentrische Armillarsphäre. Paris, ca. 1800

Die Armillarsphäre (von lat. armilla = Armreif), auch als „Weltmaschine“ bezeichnet, ist kein Messinstrument, sondern ein astronomisches Demonstrationsobjekt, das die Bewegung der Himmelskörper veranschaulicht. In der Antike entwickelt und vermittelt über die islamische Welt, avancierte sie im 15. Jahrhundert zum Attribut des Astronomen und Symbol des Kosmos schlechthin. Das ausgestellte späte Exemplar des französischen Kartographen Charles François Delamarche (1740–1817), ein aus preiswerten Materialien gefertigter Gebrauchsgegenstand mit unübersehbaren Nutzungsspuren, unterscheidet sich insgesamt nur wenig von den Vorgängern früherer Jahrhunderte. Im Zentrum steht die feststehende Erdkugel, umkreist von Sonnen- und Mondscheibe auf Metallhalterungen. Es folgt die bewegliche sogenannte Ringkugel aus Pappe, die Äquator, Ekliptik (Sonnenbahn), Wende- und Polarkreisen darstellt und sich auf die geographische Breite des Standorts einstellen lässt. Trotz des längst überholten geozentrischen Weltbildes offenbart sich der nach wie vor hohe didaktische Wert des Objektes. Der Hersteller verfasste auch eine praktische Anleitung zum Gebrauch von Sphären und Globen.

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Literaturverweise

    Nolte, Friedrich. 1922. Die Armillarsphäre. Diss. Abhandlungen zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin 2. Erlangen: Mencke.