Die Kronen von Florenz <

Denk an die Lötungen, mit denen die Kugel von Santa Maria del Fiore zusammengeschweißt wurde

Leonardo da Vinci

Paris Ms. G, fol. 84v. Übersetzung: Marianne Schneider

 

 

In kaum einer europäischen Stadt des 15. Jahrhunderts war der Grad der Alphabetisierung so hoch wie in der Handelsmetropole Florenz. So konnte die Dichtung in der italienischen Volkssprache, dem sog. vernacolo, von der breiten Bevölkerung rezipiert werden. Im Zentrum der literarischen Kultur standen die „Drei Kronen von Florenz“: Dante Alighieri (1265–1321), Francesco Petrarca (1304–1374) und Giovanni Boccaccio (1313–1375). Selbstverständlich war das Dreigestirn auch in Leonardos Bibliothek vertreten. Ihre Werke setzten für Jahrhunderte und über Italien hinaus Maßstäbe für den literarischen Stil und förderten die Herausbildung einer – auf der Literatursprache begründeten – pränationalen italienischen Identität. Gleichzeitig spiegelt sich in ihnen der enzyklopädische Wissenshorizont der Zeit, in dem sich die christlich-theologische Tradition mit einer diesseitigen Weltsicht verbindet. Hinzu tritt der Ehrgeiz, mit den antiken Vorbildern zu wetteifern. Die Offenheit für neue Naturerfahrungen trifft auf das Streben nach einer ganzheitlichen kosmischen Ordnung, die sich mehr und mehr auf wissenschaftliches Wissen gründet. Auch die Bildkünste sind zunehmend geprägt von genauen Naturbeobachtungen und Detailschilderungen und suchen auf ihre Weise Bedeutung und Beschaffenheit der Welt zu ergründen. 
In der überaus vielseitigen Werkstatt des Bildhauers, Malers und Goldschmiedes Andrea del Verrocchio (1435–1488) bietet sich dem jungen Leonardo die Möglichkeit, praktische Fertigkeiten in den unterschiedlichsten Techniken zu erlangen. Gleichzeitig macht er sich die ästhetischen Prinzipien künstlerischer Gestaltung zu eigen. Von seinem interessierten Lehrer, der selbst im Besitz einer respektablen Bibliothek war, lernt der ambitionierte Nachwuchskünstler zudem weitere Wissensformen kennen, welche in die Konzeption der Werke einfließen. Hierzu zählen Ingenieurwissen und Konstruktionsprinzipien, theologisch-philosophische Grundlagen und klassisch-literarische Kenntnisse.

Brunelleschis Kuppel <

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Vitruvius, Pollio. Ansicht der Kuppel des Doms Santa Maria del Fiore (1420–1436). Florenz, 2003

Mit einer Spannweite von 41,98 m und einer Höhe von 86,79 m über dem Boden dominiert die achteckige Vierungskuppel von Santa Maria del Fiore weithin sichtbar die Silhouette von Florenz. Das Wahrzeichen der Stadt mit seiner charakteristischen steilen Wölbung und dem Wechsel aus rotbraunen Ziegelsegmenten und kontrastierenden weißen Marmorrippen gilt noch immer als die größte gemauerte Kuppel überhaupt. Das statische Wagnis wurde von Filippo Brunelleschi (1377–1446) als Rippenkonstruktion mit zweischaligem Ziegelmauerwerk im Fischgrätverband bewältigt, kam ohne teure hölzerne Lehrgerüste aus und konnte in Rekordzeit fertiggestellt werden. 1420 begonnen, erfolgte die Weihe am 25. März 1436 (Festtag Mariä Verkündigung) durch Papst Eugen IV. Doch erst 1471 erhielt die Laterne mit der vergoldeten Kupferkugel Andrea del Verrocchios ihren eigentlichen Abschluss. Sein damaliger Mitarbeiter Leonardo sollte sich hieran noch im Alter erinnern (Paris Ms. G, fol. 84v).

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Literaturverweise

    Di Pasquale, Salvatore. 2002. Brunelleschi. La costruzione della cupola di Santa Maria del Fiore. Venedig: Marsilio.

    Fanelli, Giovanni, und Michele Fanelli. 2004. Die Kuppel Brunelleschis. Geschichte und Zukunft eines großen Bauwerks. Florenz: Mandragora.

    Haines, Margaret. 2002. „Gli anni della cupola. Archivio digitale delle fonti dell’Opera di Santa Maria del Fiore. Edizione di testi con indici analitici e strutturali“. Reti Medievali Rivista 3 (2): 1–9 (Art. Nr. 10).

    Markschies, Alexander. 2011. Brunelleschi. München: C.H. Beck, 45–60.