Prolog: Altes Wissen und neue Technologie <

Armselig ist der Schüler, der seinen Lehrer nicht übertrifft

Leonardo da Vinci

Codex Forster III, fol. 66v. Übersetzung: Marianne Schneider

 

 

Das Zeitalter Leonardo da Vincis war von weitreichenden kulturellen Umbrüchen geprägt. Diese betrafen insbesondere auch die Ökonomie des Wissens. Zum einen erhoben humanistische Gelehrte, Wissenschaftler und Künstler das Wissen der Antike zum zentralen Bezugspunkt der zeitgenössischen Wissensökonomie. Mit der technischen Entwicklung des Buchdrucks eröffneten sich andererseits neue Möglichkeiten der geographischen Verbreitung und sozialen Zugänglichkeit von Wissen. Leonardos intellektuelle Entwicklung zu einem der herausragenden Künstler-Wissenschaftler-Ingenieure der Neuzeit ist ohne diese Umbrüche nicht denkbar. Die von den Humanisten systematisch betriebene Suche nach antiken Schriften und deren Edition und Übersetzung bot die Möglichkeit, an den wissenschaftlichen und technischen Stand der Antike anzuknüpfen. Die Technologie des Buchdrucks machte privaten Buchbesitz überhaupt erst erschwinglich und ermöglichte es Leonardo – freilich über Jahre hinweg – seine eigene Bibliothek aufzubauen. Das hierin gespiegelte antike wie zeitgenössische Wissen konnte nun aus der persönlichen Perspektive des Besitzers neu geordnet werden.

Leonardos Berliner Bibliothek – 1. Abteilung <

12.
Euklid. Elementa geometriae. Herausgegeben von Johannes Campanus. Venedig: Erhard Ratdolt, 1482

Die Elemente (griechisch: Stoicheia) des Euklid (ca. 300 v. Chr.), ein Kompendium zu Geometrie, Proportion und Zahlentheorie, wurden im 12. Jahrhundert von dem Engländer Adelard von Bath nach einer arabischen Textversion ins Lateinische übersetzt. Mitte des 13. Jahrhunderts nochmals von Johannes Campanus überarbeitet, wurde der Text 1482 erstmals in Venedig gedruckt. In unzähligen Übersetzungen und Ausgaben wurde das antike Werk mehr als 2000 Jahre lang als Grundlehrbuch für darstellende Geometrie und Mathematik verwendet – Leonardo diente es auch als Grundlage für Wissensfelder wie Astronomie, Optik, Perspektive und Mechanik (107 ). Sein Nürnberger Malerkollege Albrecht Dürer (76 ) erwarb während seiner Venedig-Reise die seinerzeit neueste Ausgabe.

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Literaturverweise

    Bambach, Carmen C. 2019a. Leonardo da Vinci Rediscovered. Bd. 2: The Maturing of a Genius, 1485–1506. 4 Bde. New Haven / London: Yale University Press, 32–34, 460–464.

    Eadem. 2019b. Leonardo da Vinci Rediscovered. Bd. 4: Scholarly Apparatus to Volumes One, Two, and Three. 4 Bde. New Haven / London: Yale University Press, 17, 22.

    Lee, Funsoo. 2019. In Leonardos Library. The World of a Renaissance Reader, herausgegeben von Paula Findlen. Stanford, CA: Stanford Libraries, 174, Kat. 45.

    Steck, Max. 1981. Bibliographia Euclideana. Die Geisteslinien der Traditionen in den Editionen der Elemente (ΣTOIXEIA) des Euklid (um 365–300). Handschriften – Inkunabeln – Frühdrucke (16. Jahrhundert). Textkritische Editionen des 17. Jahrhunderts. Editionen der Opera minora (16.–20. Jahrhunderts). Arbor scientiarum. C. 1. Hildesheim: Gerstenberg.