Prolog: Altes Wissen und neue Technologie <

Armselig ist der Schüler, der seinen Lehrer nicht übertrifft

Leonardo da Vinci

Codex Forster III, fol. 66v. Übersetzung: Marianne Schneider

 

 

Das Zeitalter Leonardo da Vincis war von weitreichenden kulturellen Umbrüchen geprägt. Diese betrafen insbesondere auch die Ökonomie des Wissens. Zum einen erhoben humanistische Gelehrte, Wissenschaftler und Künstler das Wissen der Antike zum zentralen Bezugspunkt der zeitgenössischen Wissensökonomie. Mit der technischen Entwicklung des Buchdrucks eröffneten sich andererseits neue Möglichkeiten der geographischen Verbreitung und sozialen Zugänglichkeit von Wissen. Leonardos intellektuelle Entwicklung zu einem der herausragenden Künstler-Wissenschaftler-Ingenieure der Neuzeit ist ohne diese Umbrüche nicht denkbar. Die von den Humanisten systematisch betriebene Suche nach antiken Schriften und deren Edition und Übersetzung bot die Möglichkeit, an den wissenschaftlichen und technischen Stand der Antike anzuknüpfen. Die Technologie des Buchdrucks machte privaten Buchbesitz überhaupt erst erschwinglich und ermöglichte es Leonardo – freilich über Jahre hinweg – seine eigene Bibliothek aufzubauen. Das hierin gespiegelte antike wie zeitgenössische Wissen konnte nun aus der persönlichen Perspektive des Besitzers neu geordnet werden.

Leonardos Berliner Bibliothek – 1. Abteilung <

9.
Ptolemaeus, Claudius. Liber de optica.Herausgegeben und übersetzt von Eugenius <Panormitanus>, 14. Jh.

Ptolemäus’ (ca. 100–nach 160 n. Chr.) Schrift zur Optik ist nur fragmentarisch und in lateinischer Übersetzung des
12. Jahrhunderts (nach einer – ebenfalls verlorenen – arabischen Übersetzung des griechischen Originals) erhalten und wurde lange Zeit nur durch handschriftliche Kopien wie die vorliegende überliefert. Eine Druckedition erfolgte in diesem Fall erst Ende des 19. Jahrhunderts. Nachhaltigen Eindruck auf arabische wie mittelalterliche Autoren übte Ptolemäus’ Sehtheorie aus, die auf der Aussendung von Sehstrahlen aus dem Auge basiert. Auch Leonardo setzte sich in seinen Studien zum menschlichen Auge (94 ) intensiv mit dem Konzept eines zentralen Sehstrahls sowie dem Phänomen des binokularen (zweiäugigen) Sehens auseinander, das die schematische Marginalzeichnung (rechts auf fol. 7) veranschaulicht.

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Literaturverweise

    Eugenius Panormitanus. 1989. LOptique de Claude Ptolémée. Dans la version latine daprès larabe de l’émir Eugène de Sicile. Herausgegeben von Albert Lejeune. Collection des Travaux de l’Académie Internationale d’Histoire des Sciences 31. Leiden / Boston, Mass.: Brill.

     

    Fehrenbach, Frank. 2002. „Der oszillierende Blick. Sfumato und die Optik des späten Leonardo“. Zeitschrift für Kunstgeschichte 65 (4): 522–544.

     

    Ono, Hiroshi, Nicholas J. Wade, und Linda Lillakas. 2009. „Binocular Vision. Defining the Historical Directions“. Perception 38 (4): 492–507.

     

    Smith, A. Mark, Hrsg. 1996. Ptolemys Theory of Visual Perception. An English Translation of the Optics. Philadelphia: American Philosophical Society.