Die Mobilität des Wissens <

Die Weisheit ist die Tochter der Erfahrung

Leonardo da Vinci

Codex Forster III, fol. 14r. Übersetzung: Jürgen Renn

 

 

Das Wissen, das Leonardo in seiner persönlichen Bibliothek versammelte, ist ein kollektives Wissen. Es beruht einerseits auf einer langen, bis auf die Antike zurückgehenden Tradition – andererseits auch auf der zunehmenden Mobilität der Menschen in Europa und ihres Wissens seit dem späten Mittelalter. Überseeschifffahrt und Buchdruck sorgten nochmals für eine große Beschleunigung der Wissenszirkulation. Kaufleute reisten auf den großen Handelsrouten und unterhielten Filialen in wichtigen städtischen Zentren, Teilnehmer der Kreuzzüge brachten Wissen vor allem aus dem arabischen Raum nach Europa, internationale Gelehrte und Studenten tauschten sich dank der lateinischen Universalsprache an den Universitäten aus, Künstler und Baumeister reisten auf der Suche nach lukrativen Aufträgen und neuesten künstlerischen Entwicklungen quer durch Europa und darüber hinaus. Entdeckungsreisende unternahmen gewagte Expeditionen in bisher unbekannte Erdteile und brachten neues Wissen zurück, während Kolonisatoren in ihrem Gefolge sich der neu entdeckten Gebiete bemächtigten – mit katastrophalen Konsequenzen für deren Bewohner. In Form von Berichten, Erzählungen, in der immer exakteren Konstruktion von geographischen Karten und in neuen wissenschaftlichen Abhandlungen wurde das neue Wissen niedergelegt und veröffentlicht. Die Folge war eine ständige Erweiterung und Veränderung des Weltbildes, das die Welt zugleich immer verfügbarer und beherrschbarer erschienen ließ. Auch in Leonardos Bibliothek wuchs der Anteil dieses neuen Wissens über die Jahre immer weiter an.

Welt in Bewegung <

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Leonardo da Vinci. Behaim-Globus. ca. 1491–1494

Der auch unter dem Namen „Erdapfel“ bekannte Globus, dessen Original im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt wird, ist die älteste erhaltene Darstellung der Erde in Kugelgestalt. Entstanden im Auftrag des Rates der Handelsmetropole Nürnberg nach dem Entwurf des Kaufmanns und Seefahrers Martin Behaim (1459–1507), waren an seiner komplizierten Herstellung eine Vielzahl von Rechenmeistern, Künstlern und Handwerkern beteiligt. Unterschiedlichste Quellen – neben antiken Autoritäten wie Ptolemäus (90 ), Strabon (89 ) und Plinius (52 ) auch zeitgenössische Reiseberichte und eigene Erfahrungen Behaims – flossen in die enzyklopädische Darstellung mit Hunderten von Piktogrammen, Ortsbezeichnungen und Beschreibungen ein. Präzise kartographische Darstellungen treffen dabei auf phantastische Inselreiche und exotische Fabelwesen. Den amerikanischen Kontinent sucht man freilich vergebens. Zeitgleich mit Kolumbus’ Entdeckungsfahrt ausgeführt, war das Vorzeigestück schon bei seiner Fertigstellung von der Entwicklung überholt worden.

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Literaturverweise

    Bott, Gerhard, Hrsg. 1992. Focus Behaim Globus. Ausstellungskatalog Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg, 2.12.1992–28.2.1993. 2 Bde. Nürnberg: Germanisches Nationalmuseum.